Webbasierte Nachsorge für onkologische Patienten nach stationärer Rehabilitation: Indikationsspezifische Entwicklung, Prozess- und Ergebnisevaluation der eHealth-Nachsorge Onko-Vital

Förderung
Deutsche Rentenversicherung Westfalen

Projektteam
Heike Kähnert, Birgit Leibbrand

Laufzeit des Projektes
01.01.2020 bis 30.06.2023

Kurzbeschreibung

Hintergrund und Ziele

Mit der zunehmenden Nutzung von internetbasierten Angeboten eröffnen sich neue Möglichkeiten, Patienten in allen Krankheitsphasen und weitgehend unabhängig von stationären oder ambulanten Maßnahmen zu unterstützen. Auch in der rehabilitativen Versorgung werden Online-Angebote verstärkt eingesetzt. Im Fokus stehen hierbei webbasierte Reha-Nachsorge Angebote, die die Nachhaltigkeit von Rehabilitationserfolgen sichern sollen. Jedoch besteht für deren Entwicklung und Implementierung ein hoher Forschungsbedarf hinsichtlich Inhalten, Ausgestaltung, Inanspruchnahme, Akzeptanz und Effektivität.

Studienziel war eine patienten-/bedürfnisorientierte Website für die onkologische Reha-Nachsorge zu entwickeln und formativ sowie summativ zu evaluieren. Über diese Website sollen onkologische Rehabilitanden unterstützt werden, ihre Reha-Nachsorgeziele langfristig umzusetzen, um hierüber gesundheitliche Beeinträchtigungen zu mindern, Selbstmanagementfähigkeiten zu fördern sowie die Lebensqualität zu verbessern.

Methoden

Das Onko-Vital Studiendesign umfasste vier Projektphasen. Zu Beginn wurde eine Bedürfnisanalyse für die Konzeption der Website Onko-Vital mittels einer Fragebogenerhebung und Gruppeninterviews durchgeführt. Darauf aufbauend erfolgte die Entwicklungsphase der ersten Onko-Vital Website-Version, die im Rahmen einer Pilotstudie evaluiert und entsprechend der Verbesserungsvorschläge modifiziert bzw. optimiert wurde. Die RCT-Studienphase umfasste eine formative und summative Evaluation der finalen Onko-Vital Website sowie die der stationären Onko-Vital Schulungsangebote für die Interventionsgruppe (IG) und Kontrollgruppe (KG). Mittels formativer Evaluation wurden aus Sicht der Teilnehmenden Aussagen zur Akzeptanz, Inanspruchnahme, Bewertung und Veränderungswünschen analysiert (Instrumente: Interviews, Fragebögen, Online-Befragung). Die summative Evaluation basiert auf einem randomisiert kontrollierten Studiendesign. Die Auswirkungen der Website wurden zur 3- und 6-Monatskatamnese über schriftliche Befragungen überprüft.

Ausgewählte Ergebnisse der Projektphasen und Handlungsempfehlungen

Entwicklungs-/ Pilotphase: Anhand der umfangreichen Ergebnisse der Bedürfnisanalyse sowie der Pilotstudie konnte die Entwicklung der patientenorientierten Website Onko-Vital sowie Schulungsmaßnahmen für die Interventions- und Kontrollgruppe erfolgreich abgeschlossen werden. Onko-Vital wurde als Online-Selbsthilfeprogramm entwickelt, das unterschiedliche Informationen und Übungen für einen gesunden Lebensstil (körperliche Aktivität, Entspannung, Ernährung) sowie Strategien zur Bewältigung therapiebedingter Nebenwirkungen (Fatigue, Lymphödem, Polyneuropathie, Gedächtnisprobleme) bereitstellt. Zudem können die Nutzenden ihre individuellen Nachsorgeziele, Handlungs-/Bewältigungspläne in einem passwortgeschützten Website-Bereich einpflegen, verwalten und die Verläufe verfolgen. Des Weiteren ermöglicht Onko-Vital einen textbasierten Austausch sowohl mit anderen Patienten (Patienten-Forum) als auch mit einem eCoach (eCoach-Chat). Schon während der Rehabilitation setzten sich die IG-Teilnehmenden über eine Schulung und Einzelberatung intensiv mit Onko-Vital auseinander. Die Durchführung einer Bedürfnisanalyse und einer Pilotstudie haben sich bewährt, denn für die Hauptstudie lagen damit optimale Studienbedingungen vor.

Formative Evaluation

Onko-Vital Angebote während der Rehabilitation: Die Onko-Vital-Schulungsangebote und die Einzelberatung wurden von den Teilnehmenden als positiv, überaus hilfreich und verständlich bewertet. Die Onko-Vital Schulung trägt dazu bei, die Website nach Abschluss der Rehabilitation ohne nennenswerte Probleme weiter zu nutzen. Zudem wurden die intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Nachsorgezielen und deren Umsetzung positiv hervorgehoben. Die Ziel- und Umsetzungsplanung nach dem HAPA-Model wurde von insgesamt 91,6% der IG-Teilnehmenden als ‚(sehr) hilfreich‘ bewertet. Die Ergebnisse weisen auf eine hohe Zufriedenheit und Akzeptanz der Teilnehmenden den stationären Onko-Vital-Angeboten gegenüber hin.  

  • Zur erfolgreichen Durchführung der stationären Onko-Vital Angebote wird empfohlen, eine stabile Internet-Infrastruktur in der Rehabilitationsklinik vorzuhalten.
  • Für eine weitere Unterstützung der Teilnehmenden wird empfohlen, die Schulungsangebote getrennt für die Gruppen der Internet-Unerfahrenen und Internet-Erfahrenen durchzuführen.
  • Während der Rehabilitation sollten internetbasierte Angebote verstärkt eingesetzt werden, wie Online-Vorträge, Recherchemöglichkeiten für Online-Nachsorgeangebote, Veranstaltungen zur Nutzung des Internets, verlässliche Internetlinks für die Nachsorge-Empfehlungen.

Website-Onko-Vital: Onko-Vital sollte nach Aussagen der Nutzenden den Rehabilitanden bis zu sechs Monate zur Verfügung gestellt werden, denn bis dahin sollte das primäre Ziel, die Patienten bei der Umsetzung der Nachsorgeziele zu unterstützen, erreicht worden sein. Für einen regelmäßigen und langfristigen Gebrauch von Onko Vital ist für die IG-Teilnehmenden der persönliche Nutzen entscheidend. So wirkt das Eintragen der Daten (Onko-Vital: Meine Ziele) und die optische Darstellung der Zielerreichung über die Zeit motivationsfördernd. Sowohl die Seriosität und Verlässlichkeit der Website-Inhalte, dass alle Informationen komprimiert abrufbar sind, weiterführende Links angeboten werden, und dass etwa alle sechs Wochen relevante neue Informationen auf Onko-Vital gestellt werden, ist für eine längerfristige Nutzung dieser Website entscheidend. Zudem wirken sich Online-Interventionen, die an den Bedürfnissen der Nutzenden ausgerichtet sind, positiv auf Adhärenz und Akzeptanz aus.

Die Ergebnisse zur visuellen Ästhetik (VisAwi-S) und zur Usability (PWU-G) bis zu zwei Monate poststationär zeigen überdurchschnittliche Website-Bewertungen auf, denn auf den 7-stufigen Bewertungsskalen beträgt der mittlere Wert zur visuellen Ästhetik 6,0±0,8 Skalenpunkte und zur Usability 5,9±1,0 Skalenpunkte. Eine positive Bewertung beider Bewertungsinstrumente fördert die Nutzung und den Wiederbesuch einer Website. Auch die Inhalte der Website, gemessen mit dem WebCLIC, werden in den Bereichen ‚Glaubwürdigkeit‘, ‚Informationsgehalt‘, ‚Verständlichkeit‘ und ‚Gefallen‘ von den IG-Teilnehmenden positiv bewertet. Der WebCLIC Summenscore beträgt 5,9±0,6 Skalenpunkte und liegt oberhalb des optimalen Cut-Off-Punkts für eHealth Websites, der mit 4,83 Skalenpunkte angegeben wird. Weiterhin ist zu vermerken, dass die Website Onko-Vital unabhängig vom Geschlecht, dem Alter und der Tumorentität der Nutzenden gleichermaßen positiv bewertet wird und letztendlich die Gesamtnote von 1,6±0,5 erhält.

Am häufigsten wurden die Website-Angebote zu Sport & Bewegung, zu Ernährung / Rezepte, zu Mentalen Gesundheit / Entspannungsübungen sowie aktuelle Informationen genutzt. Diese Angebote wurden von mehr als drei Viertel der IG-Teilnehmenden als ‚(sehr) hilfreich‘ bewertet. Über die Angebote eines Patienten-Forums bzw. eCoach Chats sollten die Patienten die Möglichkeit erhalten, Erfahrungen auszutauschen, Unterstützung zu finden und Informationen zu erhalten. Beide Angebote wurden von der Mehrheit nicht genutzt (Nicht-Nutzung: Forum: 67,3%; eCoach-Chat 58,2%), wobei Forumsbeiträge zwar gelesen aber nicht verfasst wurden. Es herrscht die Meinung vor, diese Angebote erst beim Auftreten von Problemen zu nutzen. Zudem wird ein face-to-face Kontakt am Wohnort mit Ärzten, Psychologen, Familie oder Freunden einem eCoach Chat vorgezogen.

  • Die aktive Nutzung des Patienten-Forums könnte gesteigert werden, indem es von Experten moderiert, kommentiert und / oder mit Beiträgen weitergeführt wird. Auch könnten von Klinikmitarbeitenden entsprechende themenspezifische Accounts eingerichtet werden. Dies ist aber mit einem erhöhten Personal- / Zeitaufwand und somit höheren Kosten verbunden und setzt eine Medienkompetenz und Bereitschaft der Mitarbeitenden voraus.

Summative Evaluation

In die Auswertung der RCT-Studie gingen 242 Patienten ein (nIG= 115; nKG=127). Die Rücklaufquote betrug 72,5%, was während der Pandemie als zufriedenstellend bewertet werden kann. Die im Projektantrag kalkulierte Fallzahl von 91 Patienten pro Gruppe konnte erreicht werden. Zusammenfassend zeigen die Studienergebnisse, dass die Durchführungen der Onko-Vital Interventionen während und nach Abschluss der Rehabilitation nicht nur machbar, sondern auch bis zu sechs Monate nach Reha-Ende effektiv sind.

Primäre Zielvariable: Die Haupthypothese, dass die Teilnahme an den Onko-Vital-Angeboten während der Rehabilitation und die Nutzung der Nachsorge-Website Onko-Vital zu einer signifikanten Verbesserung der globalen Lebensqualität bei onkologischen Rehabilitanden führt, konnte zur 3- und 6-Monatskatamnese bestätigt werden. Klinisch relevante Verbesserungen lassen sich im Zeitverlauf in beiden Studiengruppen nachweisen, stärker ausgeprägt bei der Interventionsgruppe.

Sekundäre Zielvariablen: Es lassen sich zur 3- und 6-Monatskatamnese signifikante Unterschiede zugunsten der Interventionsgruppe nachweisen hinsichtlich …

  • … der Umsetzung individueller Nachsorgeziele aus den Bereichen körperliche Aktivität, Stress- und Fatigue-Management.
  • … der Förderung des Entspannungs- und Sportverhaltens, indem regelmäßig (d.h. mindestens 1x / Woche) Entspannungsübungen / Sportübungen in den Alltag integriert werden. Auch diejenigen, die zum Reha-Beginn keine Entspannungs- bzw. Sportübungen durchgeführt haben, werden über die Onko-Vital-Interventionen dazu angeregt, bis zu sechs Monaten poststationär entsprechende Übungen wöchentlich durchzuführen.

Bei den sekundären Zielvariablen zur mentalen Gesundheit, wie ängstliche-/depressive Verstimmung und zu physischen Merkmalen, wie Schlaf, Polyneuropathie, Lymphödem konnten keine Gruppenunterschiede nachgewiesen werden. Jedoch zeigt sich, dass während der Rehabilitation beide Studiengruppen profitieren, indem sie sich am Ende der Rehabilitation weniger körperlich und mental beeinträchtigt fühlten, woraus sich Hinweise zur Wirksamkeit einer onkologischen Rehabilitation ableiten lassen.

Anhand der Studienergebnisse und aus Sicht der Nutzenden wird empfohlen, die Website Onko-Vital durch folgende Inhalte / Angebote zu optimieren:

  • Überarbeitung der Themenbereiche mentale und physische Gesundheit.
  • Zeitlich längere Entspannungs- oder Sport-Videos von etwa 30-45 Minuten.
  • Neuigkeiten aus der onkologischen Rehabilitation und aktuelle Informationen zu einzelnen Tumorerkrankungen einschließlich Therapien.
  • Push-Up-Nachrichten, die einerseits als Erinnerungsfunktion dienen sollen, um zu motivieren die Ziele weiterhin einzutragen bzw. Onko-Vital wieder zu besuchen. Andererseits sollen diese Push-Up Nachrichten als Art ‚Lob‘ dienen, wenn man sein Tagesziel erreicht hat.
  • Die Teilnehmenden sollten vom eCoach regelmäßig eine personalisierte Rückmeldung zu ihrer Zielerreichung erhalten.
  • Die Vorträge aus der Rehabilitation sollten als Videodateien auf Onko-Vital gestellt werden, sodass sich ergänzende oder zusätzliche Inhalte angeeignet werden können. Bei der Produktion der Online-Vorträge müssen Qualitätsmerkmale beachtet werden.
  • In größeren zeitlichen Abständen sollte eine videogestützte Online-(Selbsthilfe)-Gruppe durchgeführt werden. Hier könnten sich die Patienten untereinander austauschen. Es könnten aber auch, vergleichbar mit einer Refresher-Veranstaltung, Übungen gezeigt oder Vorträge aus der Rehabilitation gehalten werden, um das Wissen aufzufrischen.

Die Ergebnisse der Onko-Vital-Studie stellen eine gute Voraussetzung dar, die Onko-Vital-Website sowie die Schulungsangebote entsprechend den dargelegten Empfehlungen zu modifizieren, in die Routineversorgung für eine onkologische Nachsorge zu implementieren und im Rahmen einer weiteren Studie mit größerer Fallzahl zu evaluieren.

Publikationen im Rahmen des Projektes

  • Kähnert, H. & Leibbrand, B. (2024). Auswirkungen der onkologischen Reha-Nachsorge Website Onko-Vital auf die Umsetzung gesundheitsförderlicher Nachsorgeziele. DRV Schriften 130: 112-113.
  • Kähnert, H. & Leibbrand, B. (2024). Effects of the oncology rehab aftercare website Onko-Vital on physical activity and relaxation behavior three and six months after rehab discharge. Oncol Res Treat (2024) 47 (Suppl. 1): 199.
  • Kähnert, H., & Leibbrand, B. (2023). Bewertung der Reha-Nachsorge Website Onko-Vital aus Sicht der RehabilitandInnen. DRV Schriften 128: 337-339
  • Leibbrand, B. & Kähnert, H. (2023). Development and evaluation of a website called “Onko-Vital” for oncological rehabilitation and aftercare. Oncol Res Treat 2023; 46 (suppl 5): 141.
  • Kähnert, H., & Leibbrand, B. (2022). Entwicklung und Bewertung der Webseite Onko-Vital für die onkologische Reha-Nachsorge. DRV Schriften 126: 328-329.
  • Lamminger, S., Stock-Gissendanner, S., Kähnert, H., & Schaller, A. (2022). Der Einsatz digitaler Angebote in der medizinischen Rehabilitation: Ansatzpunkte für die Entwicklung hybrider Rehabilitationskonzepte. DRV Schriften 126: 296-298.
  • Kähnert, H & Leibbrand, B. (2022). Development and evaluation of the website Onko-Vital for the oncological rehab-aftercare. Oncol Res Treat 2022;45 (suppl 1): 227.

Schlagwörter
Rehabilitation, Onkologie, Reha-Nachsorge, webbasierte Nachsorge, eHealth

Kontakt
Dr. Heike Kähnert, Alte Vlothoer Straße 1, 32105 Bad Salzuflen,
E-Mail: kaehnert@ifr-norderney.de