Fatigue Management in der onkologischen Rehabilitation (FaM). Entwicklung und Evaluation strukturierter Schulungs- und Nachsorgemodule zur Bewältigung der tumor-assoziierten Fatigue

Förderung
Deutsche Rentenversicherung Westfalen

Projektteam
Heike Kähnert, Elisabeth Muckel, Birgit Leibbrand

Laufzeit des Projektes
01.01.2015 - 30.06.2017

Kurzbeschreibung
Hintergrund und Ziele

Die tumorassoziierte Fatigue stellt die häufigste Komorbidität einer Krebserkrankung und ihrer Therapien dar (de Vries et al. 2009). Sie geht mit physischen, psychischen sowie kognitiv-mentalen Erschöpfungszuständen unterschiedlicher Intensitäten einher, die die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft stark einschränken können (NCCN, 2015; Rüffler et al., 2013). Ein ‚one-size-fits-all Angebot‘ trägt nicht zur Bewältigung der unterschied-lichen Fatigue-Symptome und Belastungen bei. Hierfür sind individuell abgestimmte multimo-dale Therapieansätze essentiell (Bennett et al. 2016). Vor diesem Hintergrund stellt die onko-logische Rehabilitation mit ihren vielfältigen Therapieangeboten ideale Ausgangsbedingungen für ein umfassendes Fatigue-Management bereit. Jedoch existieren derzeit nur wenige In-formationen zur Entwicklung, Umsetzung, Bewertung und Auswirkung fatigueorientierter Schulungsmodule in der stationären onkologischen Rehabilitation.
Hauptziel der FaM-Studie war die Entwicklung der bedarfsorientierten Fatigue-Management Module Therapie und Nachsorge für die onkologische Rehabilitation durch das Reha-Team. Weitere Ziele waren die Prozessüberprüfung und die Evaluation der FaM-Schulungsmodule.

Methoden
Die qualitativen und quantitativen Daten wurden von den beteiligten AkteurInnen in einer Me-thodentriangulation erhoben. Durchgeführt wurden: Experteninterviews (insgesamt 17 Teil-nehmende in Einzelinterviews) mit dem Ziel, den Entwicklungsprozess und das FaM-Modul Therapie aus Sicht der KlinikmitarbeiterInnen bewerten zu lassen und Verbesserungsvor-schläge herauszuarbeiten. Gruppeninterviews (GI) vor (4 GI mit insgesamt 15 Teilnehmen-den) und nach (5 GI mit insgesamt 18 Teilnehmenden) Einführung des FaM-Moduls Therapie mit dem Ziel, vergleichende Informationen zur Bewertung fatigueorientierter Therapien der Klinik zu erhalten und Veränderungen aus Sicht der Rehabilitanden aufzuzeigen. Rehabilitan-denbefragungen (n=380) vor (n=186: Kontrollgruppe, KG) und nach (n=196: Interventions-gruppe, IG) Einführung der FaM-Module zu fünf Messzeitpunkten (Reha-Beginn, Reha-Ende, 1-, 3- und 6-Monatskatamnese) mit dem Ziel, erste Aussagen zu den Auswirkungen der FaM-Module zu erhalten (Pilotstudie). Befragung der weiterbehandelnden ÄrztInnen der Interventi-onsgruppe (n=47) mit dem Ziel, Aussagen zum Reha-Entlassungsbericht und zu den Reha-Nachsorgeempfehlungen treffen zu können.

Ergebnisse
Das Hauptziel der Studie - die Entwicklung bedarfsorientierter Fatigue-Management Module durch das Reha-Team - konnte erreicht werden. Die Modul-Entwicklungsstrategien (Kähnert et al. 2016) haben sich bewährt, denn Abläufe, Unterlagen und interne Qualitätsüberprüfun-gen wurden von den Reha-Mitarbeitenden als zielorientiert und sinnvoll erachtet, trotz des erhöhten Arbeitsaufwandes. Zudem förderte das kontinuierliche Arbeiten in den Experten-gruppen die Teamentwicklung und festigte eine kooperative aber auch wertschätzende Zu-sammenarbeit. Dies illustriert die Bedeutung des Reha-Teams für die Konzeption neuer The-rapieangebote. Wesentliche Faktoren für eine erfolgreiche Entwicklung und Umsetzung be-darfsorientierter Module im Reha-Team sind zusammengefasst:

  • Absprachen der Ziele und Vorgehensweisen mit der Klinikleitung und eine transparente und zeitnahe Informationsweitergabe an alle Mitarbeitenden.
  • Bedarfsanalysen hinsichtlich der primären Outcomes (Zielgruppe: Rehabilitanden)
  • Ist-Analysen hinsichtlich bestehender Klinikangebote für die primären Outcomes (Ziel-gruppe: Reha-Mitarbeitende).
  • Fortlaufende Expertengruppensitzungen / multiprofessionelle Reha-Teamarbeit
  • Implementierungs- und Erprobungsphase einschließlich Überprüfung der Prozess- und Strukturqualität (u.a. Mitarbeitendenbefragungen).
  • Überprüfung der Module in der Routineversorgung hinsichtlich Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität (u.a. Mitarbeitenden- und Rehabilitanden-Befragungen).


Für das FaM-Modul Therapie wurden Angebote für die Bereiche Sport, Ergotherapie, Psy-chologie, Ernährungsberatung sowie ein Arzt-Vortrag entwickelt. Dieses Modul konnte gewinnbringend in die Routineversorgung implementiert werden. Inhalte und Abläufe des FaM-Moduls wurden von den Reha-Mitarbeitenden und RehabilitandInnen (IG) akzeptiert und posi-tiv bewertet. Einzig die differentialdiagnostische Abklärung einer Fatigue gestaltete sich nach Aussagen der ÄrztInnen als problematisch und sie wünschten sich hierzu weitere Unterstüt-zung. Als ergänzende Maßnahmen wurden von den RehabilitandInnen eine Intensivierung der psychologischen Betreuung sowie mehr individuell orientierte Gedächtnis-/ Konzentrations-trainings gewünscht.

Ergebnisse der Gruppeninterviews zeigten, dass im Vergleich zur Kontrollgruppe die Interven-tionsgruppe eine stärkere fatigueorientierte Ausrichtung der Rehabilitation wahrnahm. Durch die Auseinandersetzung mit der Fatigue-Thematik konnte die Interventionsgruppe die Er-schöpfungssymptome besser einordnen und „Ängste und Gefühle der Hilfslosigkeit“ wurden reduziert. Durch die Vermittlung fatigueorientierter Bewältigungsstrategien fühlte sich die In-terventionsgruppe besser auf die Rückkehr in ihren Alltag vorbereitet als die Kontrollgruppe. Auch die Handouts und Angebote des FaM-Moduls Nachsorge wurden durchgängig positiv und als praxistauglich bewertet, da diese nach Aussage der Interventionsgruppe viele Anre-gungen für den Alltag enthielten. Poststationär konnte die Interventionsgruppe mithilfe des Energietagebuchs Strategien zum Umgang mit ihren Fatigue-Symptomen umsetzen, indem sie u.a. ihren Alltag kräfteschonend organisierten, Arbeiten weiter delegierten und gelernt hat-ten „nein“ zu sagen. Zudem hat eine Mehrheit ihr Sport-/ Bewegungsverhalten bzw. Ernäh-rungsverhalten entsprechend den Reha-Empfehlungen geändert. Jedoch war eine kräfte-schonende Tagesplanung für erwerbstätige Teilnehmende nicht immer möglich, sobald sie an ihren Arbeitsplatz mit festen Zeiten und Pausenregeln zurückgekehrt waren.

Die summative Evaluation (Pilotstudie) weist hinsichtlich der allgemeinen-, körperlichen- und mentalen Fatigue-Symptome (primäre Zielvariablen) aber auch der Lebensqualität (sekundä-re Zielvariable) bis zur 3-Monatskatamnese signifikante Gruppenunterschiede zugunsten der Interventionsgruppe nach, jeweils mit kleinen bis mittleren Effektstärken. Interventionseffekte über die 3-Monatskatamnese hinaus konnten nicht nachgewiesen werden.

Für die Fortführung der Reha-Nachsorgeempfehlungen sollten die weiterbehandelnden Ärz-tInnen unterstützende Funktionen übernehmen. Nach den vorliegenden Studienergebnissen scheinen nur wenige weiterbehandelnde ÄrztInnen eine solche Funktion - bezogen auf die Bewältigung einer Fatigue - zu übernehmen. Nach Aussagen von drei Viertel der befragten IG-Teilnehmenden spielte bis zu drei Monaten nach Entlassung das Thema Fatigue im Arzt-Patienten-Gespräch nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere PatientInnen mit starken Fatigue Ausprägungen haben häufig kein Gespräch über Fatigue mit ihrem Arzt geführt. Ferner haben PatientInnen die Erfahrung gemacht, dass ihr Arzt nicht umfassend über Fatigue informiert ist oder die Gespräche darüber nicht führen will, so dass diese Gespräche von den PatientInnen als wenig hilfreich bewertet wurden. Hieraus resultiert vonseiten der Betroffenen der Wunsch, dass sich die ÄrztInnen zum Thema Fatigue weiter fortbilden. Die PatientInnen betonen  zudem, dass der Arzt weitgehend die Empfehlungen aus der Rehabilitation über-nommen hat. In erster Linie sollten sie ihr Bewegungs- und Sportverhalten steigern.

Die weiterbehandelnden ÄrztInnen (n=47) bewerteten die Nachsorgeempfehlungen aus dem Reha-Entlassungsbericht weitgehend positiv. Diese werden von der Mehrheit der ÄrztInnen als verständlich und praxisnah aber auch hilfreich für das Gespräch mit den Patienten sowie für die Weiterbehandlung erachtet. Zudem halten 90% der ÄrztInnen die Nachsorgeempfeh-lungen für ausreichend. Jedoch sollten sie mehr auf die Situation des Patienten abgestimmt werden (keine standardisierten Textbausteine) und detaillierte Beschreibungen der Übungen enthalten (z.B. in Form eines Bewegungswochenplans). Auch die ÄrztInnen äußerten den Wunsch, mehr Informationen über Fatigue zu erhalten. In einer abschließenden Beurteilung, bewerten drei Viertel der weiterbehandelnden ÄrztInnen die Rehabilitation für ihre PatientIn-nen als (sehr) erfolgreich.

Literatur
Vries, U. de, Reif, K., Stuhldreher, N., Petermann, F. & Görres, S. (2009). Tumorbedingte Fatigue. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 17 (4), 170-184.

NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology (2015). Cancer related fatigue. Version 2/2015. Verfügbar unter www.nccn.org/professionals/physician_gls/f_guidelines.asp.

Bennett, S., Pigott, A., Beller, E. M., Haines, T., Meredith, P. & Delaney, C. (2016). Educatio-nal interventions for the management of cancer-related fatigue in adults. The Cochrane database of systematic reviews, 11, CD008144.

Kähnert, H; Exner, A.K., Brand, S. & Leibbrand (2016). Entwicklung und Bewertung der be-ruflich-orientierten Intervention „Perspektive Job“ für die onkologische Rehabilitation. Re-habilitation 55: 150-157.


Publikationen im Rahmen des Projektes
Kähnert, H., Niemann, J. & Leibbrand, B. (2019). Fatigue-Bewältigung nach Abschluss einer onkologischen Rehabilitation. Welche Unterstützung ist aus Patientensicht erforderlich? DRV-Schriften Bd. 117: S. 156-158.

Leibbrand, B., Kähnert, H. & Maschke, J. (2018). Cancer-related fatigue, a problem in and after oncological rehabilitation. J Int Soc Rehabil Med 1, Suppl S1: p. 72.

Kähnert, H., Maschke, J. & Leibbrand, B. (2018). Entwicklung und Evaluation eines Fatigue-Management Moduls für die onkologische Rehabilitation. Ergebnisse der FaM-Pilotstudie. DRV-Schriften Bd. 113: 389.

Kähnert, H.; Maschke, J. & Leibbrand, B. (2017). Fatigue-Bewältigung in der onkologischen Rehabilitation. Welche Unterstützung ist aus Patientensicht erforderlich? DRV-Schriften Bd. 111, S. 382-383.

Kähnert, H.; Maschke, J. & Leibbrand, B. (2017). Konzeption eines bedarfsorientierten Fati-gue Schulungsmoduls für onkologische Rehabilitanden. Oncol Res Treat; 40 (suppl 1):15-16.